04.03.2014

Fall Edathy: Im Zweifel für den Angeklagten

Kommentar von Sabine Beppler-Spahl

Rechtstaatliche Grundsätze werden angesichts der Kinderpornografievorwürfe gegen Sebastian Edathty leichtfertig über Bord geworfen. Sabine Beppler-Spahl mahnt kühlen Kopf zu bewahren: es steht viel mehr auf dem Spiel als der Kinderschutz

Die Debatte über den SPD Politiker Sebastian Edathy hat Züge eines modernen Kreuzzugs. Sie zeichnet sich durch viel Eifer und wenig Rationalität aus. Das beginnt mit der in der Öffentlichkeit stets wiederholten Behauptung, wer Bilder von nackten Kindern bestelle, müsse auch härteres, verbotenes Material besitzen. Es ist das altbekannte „Dammbruchargument“: jemand, der eine unerwünschte, aber legale Tat begeht, müsse sich automatisch auf die schiefe Ebene begeben.

Ein Argument wird nicht wahrer dadurch, dass es ständig wiederholt wird. Am Fall Edathy zeigt sich, wie leichtfertig wir bewährte juristische Schutzregeln über Bord werfen, wenn es um Pädophilie geht. Das Dammbruchargument wird zwar auch in anderen Zusammenhängen von vorgeblicher Dringlichkeit benutzt. Selten jedoch wird es so kritiklos hingenommen wie in diesem Fall.

Würden wir etwa mit der gleichen Überzeugung behaupten, wer abends seinen Wein trinkt, befinde sich auf dem Pfad zum Alkoholismus, oder der Cannabisraucher werde bald als Junkie durch die Welt schlurfen? Manche meinen, wer seinem Kind einen Klaps gibt, wird es bald zu Tode geprügelt haben. Anders als bei Nacktfotos von Kindern obsiegt hier zum Glück in der Regel der gesunde Menschenverstand. Zu Recht gehen wir davon aus, dass es keinen Automatismus des Bösen gibt, selbst wenn wir kurzzeitig „ausrasten“ oder es um schlechte Angewohnheiten und persönliche Laster geht.

„Bei keinem anderen Thema ist der ablehnende Konsens so groß wie bei der Pädophilie. Aber ist es nicht gerade wichtig, auf Zurückhaltung und die Einhaltung wichtiger Prinzipen zu pochen, wenn es um Skandale geht, die die Öffentlichkeit besonders aufwühlen?“

Wie gedankenlos wohlbegründete Grundsätze ignoriert werden, zeigt sich auch daran, dass es für viele keine Rolle spielt, ob die Bilder, um die es geht, legal sind oder nicht. Sebastian Edathy hat zugegeben, Nacktfotos von Kindern kommerziell erworben zu haben. Damit steht seine moralische Schuld für viele fest. Bei keinem anderen Thema ist der ablehnende Konsens so groß wie bei der Pädophilie. Aber ist es nicht gerade wichtig, auf Zurückhaltung und die Einhaltung wichtiger Prinzipen zu pochen, wenn es um Skandale geht, die die Öffentlichkeit besonders aufwühlen? Wenn etwas von allen als das ultimative Böse gebrandmarkt wird, folgen schnell illiberale Forderungen, die mit einem zivilisierten Rechtstaat nicht vereinbar sind.

Immer wieder hat sich gezeigt, dass die Abscheu vor Pädophilie zu Formen öffentlicher Ächtung führt, die nicht selten mittelalterliche Züge tragen. Wir erinnern uns an die Kampagne, die vor anderthalb Jahren gegen einen Mitarbeiter der Charité in Berlin geführt wurde. Erst nach vielen Wochen und einer ungeheuren Vorverurteilung durch große Teile der Medien konnte die Unschuld des Mannes erwiesen werden. Das moderne Teeren und Federn hat in der Debatte über Pädophilie längst Einzug gehalten. Ein anschauliches Beispiel kommt aus England. Nach dem Mord an einem achtjährigen Mädchen druckte die Zeitung News of the World im Jahr 2000 Fotos vorbestrafter Pädophiler und forderte die Polizei auf, deren Namen und Adressen zu veröffentlichen. Diese als „name and shame“ bekannt gewordene Kampagne gab vor, im Namen der Eltern zu handeln. Was folgte waren Lynchattacken, die z.T. auch unschuldige Menschen trafen.

Emotionalität ist ein schlechter Ratgeber, wenn es um die Beurteilung von Straftaten geht und der Schutz vor falschen Verurteilungen ist eines der wichtigsten Grundprinzipien des modernen Rechtstaats. Auch wenn wir etwas besonders ekelhaft finden, gibt es einen Unterschied zwischen legal und illegal. Was einer in seiner Fantasie möglicherweise getan hat, sollte uns nicht interessieren. Es ist keinesfalls leichtfertig hinzunehmen, dass im Falle Sebastian Edathys eine bürgerliche Existenz zerstört wurde, bevor klar ist, ob überhaupt eine Straftat begangen wurde.

„Viel zu schnell wird aus dem Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ das Motto, „im Zweifel für das Kind“

Sexuelle Übergriffe auf Kinder gehören zu den tragischsten Aspekten der Realität. Doch Hysterie hilft nicht, Kinder zu schützen. Im Gegenteil: Oft wird im Namen eines falschen Kinderschutzes Unrecht begangen (wie im Falle von Falschverurteilungen) und Angst und Misstrauen gesät. Viel zu schnell wird aus dem Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ das Motto, „im Zweifel für das Kind“. Auch ist das, was für Kinder getan wird, meistens nicht besonders konsistent. So wird zu Recht, darauf hingewiesen dass viele der Nacktfotos, Kinder aus ärmeren Ländern zeigen. Armut und Unwissenheit der Kinder und ihrer Familien, heißt es z.B. in einem Kommentar der taz-Chefredakteurin Ines Pohl würden von den Pornovertreibern brutal ausgenutzt [1]. Das mag stimmen. Aber angesichts der Realität vieler Kinderleben, erfolgt der Verkauf von Nacktfotos vielleicht gar nicht so sehr aus Unwissenheit. Kinder in armen Ländern sehen sich noch ganz anderen Gefahren ausgesetzt. Viele befinden sich auf der Flucht (wer bietet ihnen Asyl?) und manche riskieren täglich ihr Leben im Bergbau oder anderen gefährlichen Industrien. Wäre es nicht ehrlicher zuzugeben, dass Kinderpornographie unser Moralgefühl verletzt, statt den Kinderschutz vorzuschieben?

Weil auch für Ines Pohl „im Zweifel für das Kind“ gilt, wirbt sie für eine Verschärfung der Gesetze: „Wer sich in einen Graubereich begibt, muss künftig dafür bestraft werden, wenn auch nur im Entferntesten die Möglichkeit besteht, dass die Persönlichkeitsrechte von Kindern durch die Foto- und Filmaufnahmen verletzt worden sind“ [2]. Ein solches Gesetz würde aber nicht Klarheit schaffen, wie sie meint, sondern zu einer ungeheuren Verwirrung führen. Wie ist es mit Eltern, die ihre Kleinen beim Plantschen fotografieren und die Bilder an Oma und Opa schicken, ohne dass das Kind dies möchte? Wer darf noch im FKK-Club sein, ohne Angst haben zu müssen, als verkappter Pädophiler zu gelten? Verbote haben am Problem der Pornographie nie viel ändern können. Besser wäre es zu überlegen, warum uns gerade der Fall Edathy so umtreibt, und ob möglicherweise noch mehr auf dem Spiel steht als der Schutz von Kindern.

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