03.08.2018

Nein, Frauen sind keine Opfer!

Von Sabine Beppler-Spahl

Titelbild

Foto: surdumihail via Pixabay / CC0

Kritikerinnen der #MeToo-Kampagne wird vorgeworfen, sie verhalten sich unsolidarisch gegenüber anderen Frauen. Dabei gibt es gute Gründe gegen die kollektive Opferidentität des #MeToo-Feminismus.

Die Reaktion kam prompt und war heftig. Frauen, die die #MeToo-Kampagne kritisierten, wurden als Verräterinnen beschimpft: „Finde eine, die bereit ist, Solidarität gegen ein Schulterklopfen und einen Keks einzutauschen und nutze ihre Identität als Vorwand, um offen frauenfeindlich aufzutreten“, heißt es in einem Beitrag in der HuffPost. Verglichen werden die „Dissidentinnen“ mit jenen bürgerlichen Damen, die im 18. und 19. Jahrhundert gegen das Frauenwahlrecht polemisierten oder Mütter zurück an den Herd kommandieren wollten. Gutsituierte, privilegierte Frauen, so die Botschaft, zögen es vor, Applaus aus der Männerwelt zu bekommen, statt Solidarität mit ihren bedrängten Schwestern zu üben.

Das mit dem Applaus ist natürlich nicht wahr, denn er galt eher der #MeToo-Seite. Zwar gab es wütende, frauenfeindliche Reaktionen gegen die Kampagne (vor allem aus den Tiefen des Internets). Doch im Großen und Ganzen wurde sie mit Lob und Anerkennung überhäuft. Nicht nur bei den Preisverleihungen der Filmbranche (z.B. bei den Golden Globes) wurde sie umworben, sondern auch in zahlreichen Zeitungsartikeln. Vom renommierten Time Magazin wurden die #MeToo-Initiatorinnen zur „Person des Jahres 2017“ gekürt. Am Ende gab es sogar noch einen Pulitzer-Preis. Auch von Seiten der Politik kam Applaus. So beglückwünschte die Kanzlerin wiederum das Time Magazin dafür, dass es die #MeToo-Aktivistinnen ausgezeichnet hatte. Kritikerinnen der Bewegung fanden sich dagegen bei Talkshows nicht selten in der Außenseiterrolle (so z.B. die Rechtswissenschaftlerin Monika Frommel, bei einer „Hart aber Fair“-Sendung im Februar 2018).

„Bei #MeToo geht es um die Überhöhung des Opferstatus.“

Aber an den Vorwürfen stimmt noch etwas nicht: Bei #MeToo geht es längst nicht mehr nur um Solidarität mit Frauen, die sexuelle Gewalt erlitten haben, sondern um die Überhöhung des Opferstatus. Ein Beitrag in der taz, geschrieben als Antwort auf die Kritikerinnen, bringt dies gut zum Ausdruck. In dem Artikel, mit dem Titel „Der verdrängte Sexismus“ behauptet die Journalistin Heide Oestreich, unsere Kultur sei durchdrungen von der Abwertung von Frauen. „In unser aller Seelen steckt die Erfahrung, dass Frauen weniger wert sind als Männer“. Woher dieses hartnäckige Minderwertigkeitsgefühl komme, deutet sie nur an (die sexistische Welt unserer Eltern und Großeltern, der „autoritär erzogenen ehemaligen Hitlerjungen und [...] braven deutschen Mädels“). Weil es aber ein rein psychologisches Phänomen ist, widersteht es offenbar allen gesellschaftlichen Realitäten. Nicht die #MeToo-Kritikerinnen, die stark aussähen, weil sie diese angeblich komplexen psychologischen Mechanismen leugneten, sondern die Frauen, die unter ihnen zu leiden hätten, seien der Normalfall, so Oestreich.

Die Ironie daran ist, dass Frau Oestreich klingt wie die oben erwähnten Emanzipationsgegnerinnen aus früheren Zeiten. Die vermeintliche körperliche, psychische und emotionale Labilität des „schwachen Geschlechts“ war lange Zeit eines der wichtigsten Argumente gegen die Gleichberechtigung. Wegen ihrer Verletzlichkeit sollten Frauen, anders als Männer, vom öffentlichen Leben möglichst abgeschirmt werden. In ihrer Streitschrift, „Die Antifeministen“ (erschienen 1902) wendet sich die bekannte Frauenrechtlerin Hedwig Dohm entschieden gegen jene Propagandisten weiblicher Schwäche: „Unsere Feinde […] begründen ihre Gegnerschaft entweder mit der geistigen und körperlichen Minderwertigkeit der Frau […] oder […] mit ihrer mimosenhaften Zartheit“, schrieb sie. Ihr Augenmerk lag auf der Stärke und Widerstandskraft von Frauen. Die über 100 Jahre alte Botschaft, dass Frauen, im Großen und Ganzen, auch mit widrigen Umständen und schlechten Erfahrungen fertig werden und deshalb den Männern in nichts nachstehen, klingt gegenüber dem Jammerton Oestreichs geradezu erfrischend. Für viel zu viele #MeToo-Anhängerinnen gilt, dass wir alle für den Rest unseres Lebens gezeichnet sein müssen, wenn uns kleines, mittleres oder großes Unrecht zugefügt wurde. So werden wir zu ewigen Opfern gemacht, statt uns darin zu üben und zu bestärken, schlimme Erfahrungen, so gut es geht, hinter uns zu lassen.

„Die Behauptung, wir lebten nach wie vor in einer sexistischen Welt, schmälert nicht nur die Leistungen früherer Feministinnen, sondern ist auch faktisch falsch.“

Obwohl sie in einer Zeit lebte, in der Frauen tatsächlich massiv benachteiligt waren, wäre Dohm nicht auf die Idee gekommen, von einer sich selbst immer wieder vererbenden Kultur der Unterdrückung zu sprechen. Sie sah im Gegenteil, mit welcher Macht sich die Forderungen nach Freiheit und Gleichberechtigung durchsetzen konnten: „In der psychischen wie in der geistigen Welt ist alles in unaufhörlicher Bewegung […]. Die Zeit ist unwiederbringlich hin, wo Königinnen und ihre Töchter spannen [...] und aufstehen mussten, wenn ein Mann ins Zimmer trat“ 1. Die Realität zeigt, wie Recht sie hatte. Frauen geht es heute besser als je zuvor, und wenn es noch Bereiche gibt, in denen uns Freiheitsrechte vorenthalten werden, dann gilt es, diese politisch einzufordern. Die Behauptung, wir lebten nach wie vor in einer sexistischen Welt, schmälert nicht nur die Leistungen früherer Feministinnen, sondern ist auch faktisch falsch.

Die Erwartung, wir alle müssten stramm hinter #MeToo stehen, nur weil wir Frauen sind, zeigt, dass es nicht um Politik, sondern um Identität geht. Warum sollten sich Frauen eine Kampagne zu eigen machen, mit deren Kernbotschaft („Frauen sind Opfer“, „Wir leben in einer sexistischen Gesellschaft“) sie nicht übereinstimmen? Auch hier lohnt es, Hedwig Dohm zu zitieren, die diese Art der weiblichen Identität ablehnte: „Damit verfiele ich ja in den Fehler der Frauen, die mit sich alle anderen Frauen identifizieren. Nein, die Frauen in ihrer Gesamtheit lassen sich nicht unter einen Hut bringen […] Es gibt Amazonen und Opferlämmer, Hypatias und liebe einfache Hausmütterchen, – und alle wollen sich nach ihrer Wesensart betätigen und alle haben Recht, tausendmal Recht“ 2.

Die frühere Emanzipationsbewegung hat die Grundlage dafür geschaffen, dass Frauen über ihr Leben frei bestimmen können und heute Männern im Beruf und im gesellschaftlichen Leben in fast allen Bereichen vollkommen gleichgestellt sind. Diese Errungenschaft sollten wir uns nicht von selbst berufenen Feministinnen und Feministen heutiger Zeit nehmen lassen. Jede Frau, die etwas auf sich hält, wird das Recht verteidigen, das sagen zu dürfen, was sie wirklich denkt. #MeToo verlangt, dass wir uns als Frauen einer Art kollektiven Opferidentität hingeben. Das ist es, was die Kampagne so unsympathisch macht. Wie gut, dass es so viele Kritikerinnen gibt!

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