04.07.2024

Ist Deutschlands Zukunft populistisch?

Von Sabine Beppler-Spahl

Titelbild

Foto: David Iliff (CC BY-SA 3.0 / bearbeitet)

Der Erfolg der AfD bei den EU-Wahlen im Juni ist eine schallende Ohrfeige für das Establishment. Die unterlegenen Parteien scheinen jedoch nicht in der Lage zu sein, daraus zu lernen.

Eine alte Redewendung lautet: „Wahltag ist Zahltag". Damit ist gemeint, dass die Parteien  bei Wahlen ernten, was sie gesät haben. Genau das ist den drei Regierungsparteien der Ampel-Koalition bei den zurückliegenden Wahlen zum Europäischen Parlament im vergangenen Monat passiert: Die Bürger haben ihrer Regierung ein massives Misstrauensvotum ausgesprochen. Hier noch einmal die Zahlen, zur Erinnerung: Die SPD erreichte mit mageren 13,9 Prozent der Stimmen den dritten Platz. Die grüßten Verlierer waren die Grünen, deren Stimmenanteil mit 11,9 Prozent um beachtliche 8,6 Prozentpunkte niedriger lag als bei der Wahl 2019. Insgesamt hat die Partei fast drei Millionen Stimmen eingebüßt.

Die vielleicht brutalste Demütigung für die Regierung waren jedoch die massiven Gewinne der AfD. Die Partei kam mit fast 16 Prozent auf den zweiten Platz (ein Zuwachs von fast 5 Punkten gegenüber 2019). Sie ist damit stärker als jede der Regierungsparteien.

Es ist unwahrscheinlich, dass sich die ohnehin schon schwache und unpopuläre Koalition von diesem Schock erholen kann. Scholz selbst schien in der Wahlnacht in eine Art Schockstarre gefallen zu sein. Er tauchte in der SPD-Zentrale auf, machte ein paar Selfies mit seinen wenigen verbliebenen Anhängern und lehnte dann alle Anfragen von Medienvertretern nach einem Kommentar ab.

Wenn alles so wäre wie früher, hätte die CDU der größte Nutznießer vom Debakel der Ampel sein müssen. Doch die Zeiten, in denen die großen Parteien die Stimmen unter sich aufteilen, sind vorbei. Zwar belegte die Union mit 30 Prozent den ersten Platz, aber damit war ihr Ergebnis nur geringfügig besser als vor fünf Jahren (um 1,1 Prozentpunkte).

„Was die etablierten Parteien am meisten verunsichert, ist die Tatsache, dass sich auch die junge Generation abwendet.“

Was die Wahlen zeigen, ist mehr als nur ein normaler Ausdruck der Unzufriedenheit mit einer unpopulären Regierung. Millionen haben die AfD gewählt – trotz aller vorangegangenen eindringlichen Warnungen des gesamten Establishments. Auch die schockierenden Skandale um die Kandidaten Maximilian Krah und Petr Bystrom haben die Wähler nicht in großem Maße abgeschreckt. Offensichtlich wird die AfD von immer mehr  Bürgern als das kleinere Übel angesehen. Diese Wahl hatte eine Botschaft: Immer mehr Wähler haben die Nase gestrichen voll von der grünen Agenda, die ihnen sowohl von der derzeitigen Koalition als auch von der früheren CDU-Regierung aufgezwungen wurde.

Was die etablierten Parteien am meisten verunsichert, ist die Tatsache, dass sich auch die junge Generation abwendet. Immer mehr junge Wähler schließen sich der Anti-Establishment-Revolte an. Die Grünen und die SPD setzen sich seit Jahren für eine Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre ein. In diesem Jahr durften 16- und 17-Jährige in Deutschland zum ersten Mal an EU-Wahlen teilnehmen. Die Idee war natürlich, dass die linken, ‚progressiven‘ Parteien am meisten davon profitieren würden. Die Demos von Fridays for Future wurden als Beweis dafür angeführt, dass die grüne Ideologie und Identitätspolitik bei der jüngeren Generation gut ankommt. Die AfD hingegen wurde als eine Partei abgestempelt, die nur von verbitterten, irrationalen älteren Menschen, Männern vor allem, gewählt wird.

Wie sich nun herausstellt, haben eher die Vertreter der Regierungsparteien den Kontakt zur Jugend verloren. Bei den Wählern zwischen 16 und 24 Jahren war die CDU die erste Wahl. Aber die AfD folgte ihr dicht auf den Fersen mit einem Stimmenanteil von 16 Prozent. Die Grünen erlitten derweil im Vergleich zu 2019 einen herben Verlust von 23 Prozent bei jungen Wählern.

„Wieder einmal weigert sich das deutsche Establishment, die Wähler ernst zu nehmen. Das ist genau der Grund, warum sich so viele der AfD zuwenden.“

Zumindest die CDU hat wohl die Zeichen der Zeit erkannt und ist bestrebt, das grüne Erbe der vergangenen Jahre abzuschütteln. Die Partei tritt jetzt wieder für die Atomkraft ein. Sie fordert auch mehr Beschränkungen für die illegale Einwanderung und hat versprochen, den Beschluss zur schrittweisen Abschaffung benzinbetriebener Autos zu kippen. Sie hat sogar vorsichtige Kritik am Green Deal der EU geäußert. Das ist ein kluger Schachzug, wenn man bedenkt, dass laut Umfragen nur 14 Prozent der Wähler den Klimawandel als oberste Priorität ansehen.

Die EU-Wahl hat jedoch gezeigt, dass dies nicht ausreicht, um die CDU wieder massentauglich zu machen. Bevor er 2018 Parteichef wurde, hatte Friedrich Merz versprochen, den Stimmenanteil der AfD zu halbieren – ein Versprechen, das er längst fallen gelassen hat. Derzeit glauben nur 39 Prozent, dass eine CDU-Regierung die Probleme Deutschlands besser lösen könnte als die aktuelle, zutiefst unpopuläre Koalition.

Angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg wird das Establishment nervös. Dennoch ist klar, dass die unterlegenen Parteien nicht in der Lage sind, aus der Niederlage, die sie gerade erlitten haben, etwas zu lernen. In einer Fernsehdebatte am Wahlabend prangerte SPD-Chef Lars Klingbeil die AfD als Nazis an. Und der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion im Bundestag, Till Steffen, forderte erneut ein Verbot der Partei. In einem Interview mit der F.A.Z. sagte er: „Ich glaube, dass wir genug Material haben, um in diesen Prozess einzusteigen”.  Es schien ihm nie in den Sinn zu kommen, wie absurd es wirkt, wenn die Verlierer einer Wahl versuchen wollen, eine Partei zu verbieten, die viel besser abgeschnitten hat.

Wieder einmal weigert sich das deutsche Establishment, die Wähler ernst zu nehmen. Das ist genau der Grund, warum sich so viele der AfD zuwenden. Wenn uns die EU-Wahlen eines sagen, dann, dass Deutschlands Zukunft wohl populistisch wird.

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